Bestattungskultur mitten im (Alltags)Leben

Café Schulte und Bestattungshaus Mertens teilen sich ein Gebäude

„Das Leben ist zu kurz, um schlechtes Brot zu essen“ – diesen Werbespruch der Mühlenbäckerei Schulte aus Meschede im Sauerland würden wohl viele unterscheiben. Befinden sich Café und Bäckerei aber tatsächlich im gleichen Gebäudekomplex wie ein Bestattungshaus, erhält der Slogan noch einmal eine andere Dimension. Doch Gäste und Besucher nehmen die Koexistenz der beiden benachbarten Geschäfte positiv auf und begrüßen solch lebensbejahenden Humor. Das bestätigt die Bestatterfamilie Mertens, mit Umbau und Verpachtung eines Teils ihrer Geschäftsräume zu Bäckerei und Café den richtigen Weg beschritten zu haben.

Originelle Werbung

„Als ich kurz vor der Eröffnung die Bäckertüte mit diesem Satz sah, blieb mir allerdings kurz das Herz stehen“, erinnert sich der Juniorchef Fritz Mertens. „Es stellte sich dann heraus, dass der Inhaber der Bäckerei die Tüten mit dem Spruch schon immer im Programm hatte – unabhängig von der neuen Filiale bei uns.“ So nahm die Einweihungs-Feier ihren Lauf – die Besucher fanden den Werbespruch originell und konnten gar nicht glauben, dass er nicht eigens von Mertens erfunden worden war.

Gut vernetzt

Doch wie kam es überhaupt zu dieser friedlichen Koexistenz? Im kleineren Nachbargebäude des Bestattungshauses befand sich das Materiallager. „Die Fläche benötigten wir nicht mehr“, erklärt Fritz Mertens. „Heutzutage sind die Wünsche von Angehörigen individueller und die Lieferanten erweitern regelmäßig ihr Angebot, was es unmöglich macht, alles auf Lager zu haben.“ So dachten er und seine Eltern Bernd und Ellen Mertens über eine Verpachtung nach. Und da sie in der rund 30.000 Einwohner zählenden Stadt Meschede gut vernetzt sind, ergab sich der Kontakt zur inhabergeführten Mühlenbäckerei Schulte, die Interesse an einer neuen Filiale hatte. „Leider bot sich das Materiallager aus baulichen Gründen nicht an“, erzählt Fritz Mertens weiter, „wir waren enttäuscht und dachten, wir müssen den Plan begraben. Doch dann hatten wir die zündende Idee: Warum nicht das Erdgeschoss des Bestattungshauses selbst nutzen?“ Hier befand sich die Sarg- und Urnenausstellung, bei der ebenfalls eine Verkleinerung anstand. „Wir konnten uns das erst gar nicht vorstellen, zumal in dem Raum sechs tragende Säulen standen, aber die Entwürfe des Architekten haben uns überzeugt“.

Eigene Eingänge

Natürlich haben sie gleich darüber nachgedacht, wie man Kunden des Bestattungshauses und der Bäckerei pietätvoll voneinander trennt. Für Besucher des Bestattungshauses gibt es zwei eigene Eingänge. Außerdem haben sich die Mertens für ein neues CI entschieden, das den Schriftzug „Bestattungen“ nicht mehr im Logo trägt. „In Meschede kennt unseren Namen jeder“, erklärt Fritz Mertens, „wir müssen nicht mehr eigens erwähnen, dass wir Bestatter sind.“ Einzig auf Facebook gab es einzelne kritische Stimmen, die aber auf falschen Vorstellungen von den räumlichen Gegebenheiten beruhten, so Mertens.

Positive Synergie-Effekte

Tatsächlich hat das nachbarschaftliche Miteinander positive Auswirkungen auf beide Geschäftsbereiche: „Gerade kleine Beerdigungsgesellschaften schätzen es, hier Kaffee zu trinken, weil sie sich dann eher ,mitten im Leben‘ fühlen“, berichtet Fritz Mertens. „Ihnen gefällt es, wenn noch andere Gäste für Atmosphäre sorgen, es lenkt sie ein wenig von ihrer Traurigkeit ab.“ Umgekehrt ist für Bäckerei- und Cafébesucher die Hemmschwelle geringer, den Bestatter mit Fragen einfach einmal anzusprechen, wenn sie ihn hier treffen. „Sie hätten sich vielleicht nicht getraut, einen Termin bei uns auszumachen, aber wenn sie mich treffen, ergibt sich ein Gespräch über Fragen, die sie schon immer einmal interessiert haben“, so Fritz Mertens. So hat er schon die eine oder andere Vorsorge angebahnt und sogar Neukunden gewonnen. Nicht zuletzt haben Angehörige, die ohne Termin zum Bestatter kommen, hier die Möglichkeit, Wartezeiten zu überbrücken oder Familienangehörige führen mitunter im Café schon einmal ein Gespräch und einigen sich so auf Modalitäten einer geplanten Beerdigung. „Sie können sich in Ruhe klar werden, was sie für Ihren Verstorbenen möchten und gehen dann manchmal bewusster in den Termin im Bestattungshaus.“ Auch die Mitarbeiter beim Bestattungshaus Mertens schätzen den kurzen Weg ins Café und können ihre Pause dort verbringen. Fritz Mertens Mutter Ellen liebt den Pflaumenkuchen der Mühlenbäckerei und freut sich, dass sie nicht kochen muss: „Bei uns sind die Beerdigungstermine oft mittags, da habe ich zum Kochen keine Zeit.“

Stilvoll und modern

Das Ambiente der Räumlichkeiten im Café Schulte ist stilvoll und modern: „So lebensbejahend“ findet Johannes Ahlbach, Bestatter aus Köln, dieses Foto, das vor einem seiner Institute aufgenommen wurde und das er uns für die bestattungskultur zur Verfügung gestellt hat. „Immer zur Erdbeerund Spargelzeit steht vor dem Geschäft ein Stand, Passanten kaufen Spargel und kommen dann auf einen Plausch zu mir rein, bewundern unser Schaufenster, wir kommen ins Gespräch – so stehen wir als Bestatter mitten im Leben und unter den Menschen, ohne Berührungsängste.“ Die Dame auf dem Bild ist eine Kundin. Die Terrasse an der Stirnseite lädt zum draußen sitzen ein, die Bäckerei betritt man durch eine Glastür an der Seite, der Zugang ist barrierefrei. An der Theke stapeln sich die Köstlichkeiten: Neben Kuchen gibt es auch Mittagssnacks wie Wraps und andere deftige Kreationen. Die Säulen sind geschickt in die Raumgestaltung integriert, gemütliche Sitzbänke animieren, seinen Kaffee oder ein Frühstück in Ruhe hier einzunehmen. Die Fenster sind geschickt durch Leuchtkästen optisch verlängert und es gibt eine eigene Spielecke für Kinder. Café Schulte wird extrem gut angenommen: „Es gibt sogar schon Anfragen, ob man am Sonntag einen Tisch reservieren könnte, es sei sonst immer so voll“, erzählt Frau Mertens. Seit 1984 ist Mertens Bestattungen in Familienbesitz, seit 22 Jahren an dieser Adresse. Mit dem neuesten Umbau und der Verpachtung haben sie einen zeitgemäßen Trend gesetzt: Die Bestattungskultur ist im Alltag angekommen, mitten in der Gesellschaft, mitten unter den Menschen.

Zurück