"Der Tod kommt so oder so" – Gespräch mit einer 86-Jährigen

 

Von Ilka Wiese

Gisela Frankes (86) Mann starb vor fast zehn Jahren. Ihre Urne wird später neben seiner liegen. Ein ehrliches Gespräch über das Leben und den Tod.

Gisela Franke (86) schiebt ihren Rollator über nasses Kopfsteinpflaster. Der Weg hoch zum Friedhof ist steil. In ihrem Körbchen liegt ein weißes LED-Grablicht für ihren Mann Walter. Er starb am 14. Januar 2007. Krebs. „Ich hätte nie gedacht, dass ich meinen Walter so lange überlebe“, sagt die 86-Jährige und atmet tief durch.

Urnenwände sehr gefragt

Links neben ihr ragen Urnenwände in die Höhe. Auf den hellgrauen Platten stehen die Namen der Toten, ihre Geburtstage und das Sterbedatum. Vor die Wände legen Angehörige Blumen, Lichter und Tannenzweige. Diese Bestattungsform ist so gefragt, dass die Evangelische Kirchengemeinde in Meschede gerade erst eine neue Wand errichten ließ. „Wenn es die damals schon gegeben hätte, hätte ich mich dafür entschieden“, sagt Gisela Franke. „Die Pflege ist einfacher. Gerade im Alter. Ich kann mich nicht mehr gut bücken“, sagt sie.

Ihr Walter war ein fröhlicher Mann mit Zigarre, Schützenbruder und Jäger. „Er sprach nie über den Tod. Oder über seine Beerdigung.“ Gisela Franke organisierte eine große Feier. „Weil er es mir wert war.“ Die Schützen erwiesen ihm die letzte Ehre mit einer großen Abordnung. In der Kirche sangen sie „So nimm denn meine Hände“. Ein Lied, bei dem jeder mit den Tränen kämpft, der je einen lieben Menschen verloren hat. „Ja, es war eine schöne Beerdigung.“

Über den eigenen Tod denkt die 86-Jährige selten nach. „Der Tod kommt so oder so. Ich weiß nicht, wann der Herrgott mich zu ihm holen wird. Aber ich muss nach vorn sehen.“ Sie ist ein positiver Mensch. Ihr Motto lautet: „Kopf hoch und durch.“

Mit dem Friedhofsgärtner per Du

Der Regen lässt nach. Die Luft riecht würzig nach feuchtem Laub und Erde. Gisela Franke schiebt ihre Kapuze zurück, kurze graue Locken kommen zum Vorschein. „Guten Morgen, Steffen“, ruft sie. Mit dem Friedhofsgärtner ist sie per Du. Sie drückt ihm das Grablicht in die Hand. Beide plaudern kurz über den Sturm der vergangenen Nacht. Einen steiler Schotterweg führt hoch zu Walters Grab. Gisela Franke ließ ihren Mann auf einem evangelischen Friedhof beisetzen, obwohl beide katholisch sind. Aus praktischen Gründen. „Schauen Sie, da oben ist mein Schlafzimmer.“ Als junge Frau fand sie den Ausblick immer unangenehm, heute schätzt sie es. „Jeden Abend sage ich ‘Schlaf gut, mein Schatz’.“

Den Häuserblock in der Straße errichtete die Deutsche Bundespost Ende 50er Jahre für ihre Angestellten. Seit 1960 lebt Gisela Franke in einem dieser Häuser. „Es war unsere erste Wohnung und wird auch meine letzte sein.“ Das Paar zog der Arbeit wegen aus dem Kohlenpott ins Sauerland. „Ich bin eine waschechte Dortmunderin. Dortmund-Möllerbrücke“, sagt Gisela Franke und zeigt stolz ihren BVB-Sticker am Kragen. Dabei kichert sie wie das junge Mädchen, das in den 50ern mit ihrem Vater ins Stadion Rote Erde ging. „Damals gab’s noch keine Hosen für Mädchen, da zog ich eine vom Vater an. Mit Hosenträgern, Mütze und Schal.“

Keiner kümmert sich

Opa Walter schrieb der Enkel auf einen Kieselstein. Daneben leuchtet purpurfarbenes Heidekraut, in der Mitte liegt ein Herz aus Holz mit einem Engel. Die Grabstellen links und rechts sind kaum mehr zu erkennen, weil sie so zugewachsen sind. Das ist auch eine Sorge von Gisela Franke: „Wissen Sie, wir haben niemanden hier in Meschede. Wenn sich keiner um das Grab kümmert, ist das nicht schön.“ Irgendwann wird sie neben ihrem Mann liegen. Ebenfalls in einer Urne. So sei es einfacher. „Dem Friedhofsgärtner habe ich schon gesagt, dass er dann alles einsäen soll. Aber das wollte er nicht. Er hat mir versprochen, sich bis zum Schluss um uns zu kümmern.“

Zurück